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DiKoJu-Auftaktveranstaltung beim 18. DJHT in Leipzig

Wie können digitale Entwicklungen fachlich sinnvoll in die Kinder- und Jugendhilfe eingebettet werden? Welche strukturellen Voraussetzungen fehlen noch – und welche Chancen tun sich auf? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Fachveranstaltung, die gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung im Rahmen des 18. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetages am 15. Mai 2025 in Leipzig stattfand. Der folgende Bericht fasst zentrale Impulse aus Vortrag und Podiumsdiskussion zusammen und zeigt auf, wo konkreter Handlungsbedarf besteht.

Die Leitveranstaltung „Total digital oder abgehängt? Zum Stand der Digitalisierung und der digitalen Kompetenzen in der Kinder- und Jugendhilfe“ war zugleich offizieller Auftakt für das im Januar 2025 gestartete Projekt „Digitale Kompetenzen in der Kinder- und Jugendhilfe“ (DiKoJu). Ein einführender Vortrag von Prof.’in Dr. Nadia Kutscher von der Universität zu Köln bot den rund 120 Teilnehmenden einen fundierten Überblick über den aktuellen Forschungsstand und eröffnete den Raum für eine praxisnahe Diskussion mit Vertreter*innen aus unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe, die im Projekt adressiert werden. Die anschließende Podiumsdiskussion zeigte deutlich: Digitalisierung ist längst mehr als Technik – sie ist eine fachliche, organisatorische und politische Querschnittsaufgabe. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung sowie die Vortragsfolien und Projektpräsentation sind verfügbar.

Digitale Transformation: Vielschichtig und nicht linear

Prof.’in Dr. Nadia Kutscher machte deutlich, dass viele digitalisierungsbezogene Phänomene – wie Online-Beratung oder der Einsatz von Fachsoftware – nicht neu sind, aber in der Praxis häufig wie Neuland behandelt werden. Dabei verläuft die digitale Entwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe äußerst unterschiedlich je nach Handlungsfeld. Es fehlt an systematischem Überblick, auch wenn erste Studien und qualitative Erhebungen wichtige Impulse liefern.

Ein zentrales Thema ist dabei die digitale Ungleichheit. Diese zeigt sich nicht nur in der Verfügbarkeit von Geräten, sondern vor allem in der Fähigkeit, digitale Medien kompetent und reflektiert zu nutzen. Kutscher betonte, dass technische Möglichkeiten stets der fachlichen Logik untergeordnet sein müssen – Digitalisierung sollte das pädagogische Handeln sinnvoll unterstützen, jedoch nicht bestimmen. Entscheidend sind hierfür sowohl die individuellen Kompetenzen als auch die strukturellen Rahmenbedingungen in den Einrichtungen.

Podiumsdiskussion: Herausforderungen auf vielen Ebenen

Die Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus Landesjugendämtern, freien Trägern und Landesministerien vertiefte die zuvor skizzierten Themenfelder. Benjamin Kieslich (SOS-Kinderdorf e. V.) hob die fehlende Standardisierung digitaler Infrastruktur, insbesondere im Verwaltungsbereich, als zentrales Problem hervor. Gleichzeitig verwies er auf die Relevanz medienpädagogischer Themen wie Fake News und demokratische Bildung im Alltag stationärer Einrichtungen. Lena Przibylla (Hedi Kitas Erzbistum Berlin) machte deutlich, dass die Entwicklung digitaler Kompetenzen bei Fachkräften nicht isoliert betrachtet werden kann. Strukturelle Voraussetzungen – etwa eine funktionierende Kommunikation mit Behörden über digitale Schnittstellen – müssen zuerst geschaffen werden. Sie plädierte dafür, digitale Elemente nicht als Zusatzaufgabe zu begreifen, sondern als integralen Bestandteil pädagogischer Arbeit. Grit Hradetzky (Bayerisches Landesjugendamt) verwies auf den hohen Stellenwert datenschutzkonformer Systeme, die Herausforderung durch fehlende Serverstrukturen und die Notwendigkeit, Digitalisierung als Querschnittsthema – vergleichbar mit Inklusion – in den Organisationen zu verankern. Es brauche eine klare Haltung seitens der Fachkräfte, kontinuierliche Qualifizierungsangebote sowie Entscheidungskompetenz auf Leitungsebene.

Handlungsbedarfe: Zwischen Infrastruktur, Haltung und Partizipation

Deutlich wurde, dass die Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe nicht in erster Linie an fehlender Technik scheitert. Vielmehr sind es strukturelle Hürden, eine hohe Heterogenität unter den Trägern, der anhaltende Fachkräftemangel sowie das Fehlen verbindlicher Standards und Schnittstellen, die den digitalen Wandel bremsen. Besonders im Verwaltungsbereich fehlt es an einheitlichen, miteinander kompatiblen Systemen, die einen effizienten Austausch zwischen Trägern, Einrichtungen und Behörden ermöglichen würden. Die Notwendigkeit einer fachlich gut entwickelten digitalen Infrastruktur zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussion.

Gleichzeitig wurde betont, dass digitale Kompetenzentwicklung bei Fachkräften nur dann gelingen kann, wenn auch die strukturellen Voraussetzungen gegeben sind. Schulungen und Qualifizierungsangebote müssen niedrigschwellig und alltagsnah gestaltet werden, um Überforderung zu vermeiden und die Fachkräfte schrittweise an hybride Arbeitsweisen heranzuführen. Diese Form der Unterstützung darf jedoch nicht als punktuelle Maßnahme verstanden werden, sondern muss dauerhaft und prozessbegleitend angelegt sein.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Verankerung von Digitalisierung als Querschnittsaufgabe in den Organisationen. Sie darf nicht als Zusatzaufgabe oder separater Bereich behandelt werden, sondern muss mit der Haltung und Kultur der gesamten Einrichtung mitgedacht werden. Digitale Tools können hierbei nicht nur zur Effizienzsteigerung beitragen, sondern auch die demokratische Beteiligung innerhalb von Organisationen sowie die Partizipation von Kindern, Jugendlichen und Familien fördern – vorausgesetzt, sie werden kompetent eingesetzt.

Schließlich wurde deutlich, dass der Einsatz digitaler Mittel immer an fachliche Standards und Zielsetzungen rückgebunden sein muss. Nicht jede Maßnahme eignet sich für eine digitale Umsetzung – etwa wenn es um sensible Hilfeprozesse geht, bei denen direkte Kommunikation und Beziehungsgestaltung zentrale Elemente sind. Es gilt daher, kritisch zu prüfen, an welchen Stellen digitale Elemente einen Mehrwert bieten und wo sie den fachlichen Anspruch möglicherweise eher unterlaufen als unterstützen.

Ausblick: Forschung trifft Praxis

Das von der Universität zu Köln und der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ gemeinsam umgesetzte Projekt „DiKoJu“ zielt darauf ab, ein differenziertes Bild des digitalen Status quo in der Kinder- und Jugendhilfe zu erheben. Die Projektpartner rufen Einrichtungen zur aktiven Teilnahme an der kommenden Befragung auf. Im Fokus stehen sowohl individuelle Kompetenzen der Fachkräfte als auch strukturelle Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen vor Ort. Ziel ist es, passgenaue Qualifizierungsmodule zu entwickeln und die Digitalisierung fachlich fundiert weiter zu gestalten.

Fazit

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe kann gelingen – wenn sie als gemeinsamer, fachlich orientierter und strategisch geplanter Prozess verstanden wird. Die Veranstaltung hat gezeigt: Die Potenziale sind groß, die Herausforderungen ebenso. Umso wichtiger ist es, jetzt die richtigen Weichen zu stellen.